Dramen, Tragödien, Tragikomödien: 20 Geschichten über verblühte Liebe

Der Laatzener Jurist und Autor Fritz Willig schreibt 1976 sein erstes Buch: „Miteinander - Auseinander". Wahre Geschichten über gescheiterte Ehen.

Etwa jede vierte Ehe in der Bundesrepublik scheitert. Hinter dieser nüchternen Zahl, auch Scheidungsquote genannt, verbergen sich Dramen, Tragödien, Tragik, Tragikomödien. Die Liebe, auch die verblühte, ist ein einfallsreicher Regisseur auf der menschlichen Bühne. Ein Anwalt hat in dem im Jahr 1976 veröffentlichten Buch von Fritz Willig „Miteinander – Auseinander“ 20 authentische Schadensfälle kompetent, unterhaltsam, kurzweilig und launig beschrieben, die beispielhaft sind für das Thema Scheidung. Der LeineBlitz wird diese 20 Schadensfälle in einer Serie jeden zweiten Sonntag veröffentlichen. Fritz Willig, 1941 geboren und in Laatzen aufgewachsen, hat sich als Rechtsanwalt in aufsehenerregenden Wirtschafts- sowie Mordprozessen einen guten Namen über die Stadtgrenzen hinaus erworben. Überdies wurden bisher 13 Bücher von ihm veröffentlicht. Heute geht es um „Der Pastor und das Fitness-Studio“  Hinweis: Das Buch ist zu einer Zeit geschrieben, als im Scheidungsrecht noch das Verschuldungsprinzip galt – und nicht das Zerrüttungsprinzip, wie es heute angewandt wird, und das seit dem 1. Juli 1998.

Auch Pastorenehen werden nicht im Himmel geschlossen, bestenfalls im siebten Himmel, aber dessen Ausstrahlungen halten bekanntlich nicht lange vor. In meinem Büro erschien nach telefonischer Voranmeldung eine 42-jährige Pastorenfrau, vollschlank, blond, nicht unapart, in ein blaues Kostüm gekleidet. Die Pfarrei ihres Mannes lag in einem weit entfernten Randgebiet der Stadt. Den langen Weg in meine Praxis hat sie offenbar aus taktischen Gründen eingeschlagen. Die Frau erzählte mir mit drängendem Ton, sie wolle sich von ihrem Mann scheiden lassen, der sich seit geraumer Zeit ausgesprochen distanziert zu ihr verhalte. Mit dieser eleganten Umschreibung meinte sie, wie ich auf gezielte Zwischenfrage erfuhr, daß ihr um drei Jahre älterer Mann den ehelichen Verkehr mit ihr seit acht Monaten total eingestellt habe. Dafür pflege er Beziehungen zu einer anderen Dame; entsprechende Fotos könne sie vorlegen.

Was mir die Pfarrersgattin, Mutter von drei Kindern, dann berichtete, klang eher wie eine Glosse. Äußere Scheidungsgründe haben häufig etwas Komisches, Bizarres an sich. Sie ähneln dramaturgischen Effekten in einem Schauspiel, haben mit den eigentlichen Gehalt aber wenig gemein. Auch diese Pastorenehe war an nichts anderem als an sich selbst dahingesicht. Schicksal vieler Ehen. Die nahezu grotesken Ereignisse, die dann eintraten, waren nur Ausdruck eines inneren Prozesses. Denn Ehen scheitern nicht eines Zufalls wegen, sondern weil der gemeinsame Vorrat an Liebe verbraucht ist. Die Pastorin, so berichtete sie bekümmert, hat ihrem 210 Pfund schweren Mann geraten, sich doch bei einem Fitness-Zentrum anzumelden. Er könne ja kaum noch seine Schuhe zubinden, und als Liebhaber sei er durch sein 40-Pfund-Übergewicht auch erheblich gehandicapt.

Der Herr Pastor war in erster Linie nicht nur Pastor, sondern ein Mann – und infolgedessen von dem aggressiven Vorschlag seiner Frau nicht erbaut. Diese Worte hatten ihn getroffen, weil sich kein Mann gerne nachsagen lässt, seine Qualitäten als Liebhaber stünden in umgekehrtem Verhältnis zu seinem Überhang an Pfunden. Nichts trifft einen Mann tiefer, als das (und sei es getarnt) Anzweifeln seiner Potenz. Ob Pastor, Straßenarbeiter, Minister, Oberkellner oder Nobelpreisträger für Physik – eine Attacke gegen ihre Männlichkeit ist eine Kriegserklärung, die es in den Tiefen der Männerpsyche aufbrodeln lässt. Der Pastor hatte auf den Vorschlag seiner Frau hin „dummes Zeug“ gemurmelt, war aber dann doch zum Fitness-Zentrum gegangen. Und da muss es diesen 210 Pfund schweren Gottesmann dann gepackt haben. Die alte, zu, verschüttete Männersehnsucht nach körperlicher Höchstleistung brach ihm durch. Er trainierte wie ein Olympiaanwärter, und seine Frau stellte mit Verblüffung fest, dass ihr Mann zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Geistlicher gewisse pfarrliche Aufgaben vernachlässigte. Die Arbeit mit Hanteln und Gewichten, mit Medizinball und Reckstange zog in stärker an als ein Diskussionsabend mit dem evangelischen Frauenbund.

Und der Pastor verlor an Fülle, die Taille geriet sachte dahin in die Nähe des Idealen. Im Laufe von drei Monaten schälte sich ein athletisches Mannesbild heraus, das sich dem Traumzustand genähert hatte: breite Schultern, schmale Hüften und muskulöse Partien an den richtigen Stellen.

Die Frau Pastor aber wartete mit wachsender Unruhe, dass ihr durchtrainierter Gatte sich mit frischen Kräften ihr wieder zuwenden würde. Doch mit jedem Pfund weniger wurde er reservierter, und als er sich dann noch modische Anzüge kaufte, ohne ihren Rat zu erbeten (wie in den verflossenen 16 Ehejahren) – als er häufig abends schweigend, doch keinesfalls mit tristem Gesichtsausdruck das Haus verließ und erst spät zurückkehrte (wiederum nicht mit trauriger Miene), da begann in ihr ein böser Verdacht zu keimen.

Sie schwieg ihrem Mann gegenüber, aber sie handelte. Mit 500 Mark, vom Bruder geliehen, erschien sie in einem Detektivbüro. In derartigen Büros ist man auf die Beschattung von Ehepartnern spezialisiert. Mit Minikameras schleichen sogenannte Detektive hinter Leuten her, die auf den prickelnden Pfaden ungesetzlicher Liebe wandeln. Sie sammeln delikates Beweismaterial, amouröse Fotos und Hotelrechnungen. Es ist nahezu aussichtslos, solchen Häschern zu entkommen; Außerdem macht ungestüme Liebe – die außereheliche zählt gewöhnlich dazu – unvorsichtig. Man zieht sich leidenschaftlich im Auto an und ahnt nicht, dass ein Späher in der Nähe lauert.

Der Pastor, stählern geworden in der Muskulatur, ging arglos – Arglosigkeit auf diesem Sektor ehrt Gottesmänner – in die Falle. Ein Detektiv schoss von ihm Aufnahmen in einem ländlichen Gasthaus, in einem Kino, in einer Eisdiele und in einer Tannenschonung. Das Foto in der Tannenschonung war nicht nur das idyllischste, es ließ auch an realistischer Prägnanz nichts vermissen,

Auf all diesen Bildern sah man eine schlanke, dunkelhaarige Frau, sehr jugendlich noch und nicht ohne Raffinement im Make-up. Wie sich später herausstellte, besitzt sie eine Modeboutique, eigentlich nicht der rechte Bekanntschaftskreis für einen Geistlichen. Aber für Pastoren, die 40 Pfund abtrainiert haben und neue Lebenskräfte mächtig spüren, zählt wohl nicht nur das Geistliche.

Ich habe lange mit meiner Mandantin, der Frau Pastorin, geredet. Sie solle doch um ihren Mann kämpfen, habe ich ihr geraten. Sie selbst habe ihn doch zu dem Fitness-Zentrum getrieben, und in eines jeden Mannes Leben gebe es solche Krisen. Es war aussichtslos. Nein, sagte die Frau, ich darf mir solche Krisen ja auch nicht leisten. In ihrer Stimme war nicht nur Bitterkeit, sondern auch Leid. Für diese Frau zerbrach nicht nur die Ehe, sondern die Mitte ihres Lebens. Und sie brachte nicht die Kraft auf, zu verzeihen. Schon wenige Wochen nach der Scheidung arbeitete die ehemalige Pastorenfrau wieder in ihrem alten Beruf als Krankenschwester. Ihr geschiedener Mann hat eine andere Pfarrei übernommen. Wenn er jetzt predigt, dass wir allzumal Sünder sind und schwache Menschen, weiß er, wovon er redet.

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