
Etwa jede vierte Ehe in der Bundesrepublik scheitert. Hinter dieser nüchternen Zahl, auch Scheidungsquote genannt, verbergen sich Dramen, Tragödien, Tragik, Tragikomödien. Die Liebe, auch die verblühte, ist ein einfallsreicher Regisseur auf der menschlichen Bühne. Als das Buch geschrieben wurde, galt im Ehe- und Familienrecht noch das Verschuldensprinzip. Ein Anwalt hat in dem im Jahr 1976 veröffentlichten Buch von Fritz Willig „Miteinander – Auseinander“ 22 authentische Scheidungsfälle kompetent, unterhaltsam, kurzweilig und launig beschrieben, die beispielhaft sind für das Thema Scheidung. Der LeineBlitz wird diese 22 Scheidungsfälle in einer Serie jeden zweiten Sonntag veröffentlichen. Fritz Willig, 1941 geboren und in Laatzen aufgewachsen, hat sich als Rechtsanwalt in aufsehenerregenden Wirtschafts- sowie Mordprozessen sowie in zahlreichen Familien- und Scheidungsangelegenheiten einen guten Namen über die Stadtgrenzen hinaus erworben. Überdies wurden bisher 13 Bücher von ihm veröffentlicht. Heute geht es um „Die Dogge Adrian“.
Mit den Sprichwörtern ist das so eine Sache. Die meisten sind schlichte Lesebuchsprüche, die nur in eine Scheinwelt passen. Dass jung gefreit, nie gereut haben soll, gilt ebenso für diese fragwürdigen Volksweisheiten, wie die kühne Behauptung, Morgenstunde habe Gold im Munde. Etwas dran Ist hingegen an der Redewendung, dass dass der Krug solange zum Wasser gehe, bis er breche. Dieser Spruch hat sich als Leitmotiv zahlreicher Scheidungen in der Tat bewährt. Nach meinen Erfahrungen sind rund 20 Prozent der Scheidungen darauf zurückzuführen, dass das geheime Doppelleben des Partners durch einen Zufall ans Tageslicht kommt.
Das gilt für die Ehefrau in gleicher Weise wie für den männlichen Partner. Es gehört zu einem weit verbreiteten, zähen Vorurteil, Männer neigten eher zu außerehelichen Verhältnissen wie Frauen. Diese Zeiten, schöne Zeiten, außer patriarchalisch-männlichen Gesichtswinkel, sind vorüber. Ich bin mir mit anderen Scheidungsanwälten darin einig, dass die Quote eheliche Untreue eher schon ein 55 zu 45 aufweist, wobei die Frauen den höheren Zahlenwert für sich verbuchen.
Man muss als Scheidungsanwalt immer wieder mit Erstaunen (in das sich bisweilen leise Bewunderung mischt) registrieren, dass Frauen im Allgemeinen raffinierter, verschwiegener und kaltblütiger zu Seitensprüngen ansetzen als Männer, die fälschlicherweise der Meinung anhängen, sie wären gewiefte Taktiker im Fremdgehen, Frauen schweigen sich auch ihrem Anwalt gegenüber meist eisern über eheliche Fehltritte aus – es sei denn, der Fall liegt offen zu Tage, und es gibt nichts mehr zu verheimlichen.
Der entscheidende Unterschied zwischen den Fehltritten weiblicher und männlicher Ehepartner besteht darin, dass Frauen besser improvisieren können. Männer benötigen für ihre Seitensprünge einen gewissen organisatorischen Aufwand. Etwa Theaterbesuch mit dem anvisierten erotischen Objekt, extravagantes Abendessen in einem verschwiegenen Lokal, gemeinsame Wochenenden, als Dienstreisen geplant. Männer müssen sich offensichtlich durch hohe, noble Aktivitäten bestätigen, ehe sie zur amourösen Tat schreiten.
Und in diesem Drumherum, diesen zeitraubenden Ouvertüren steckt manche Fehlerquelle. Ein einziger Zufall kann alles verraten, und so stolpern scheinbar raffinierte Ehemänner dann auch reihenweise über ihren eigenen organisatorischen Aufwand, der sich um die außerirdischen Eskapaden rankt.
Man sagt den Frauen nicht zu Unrecht nach, dass sie praktischer seien als Männer, realistischer. Das trifft auch auf außereheliche Abenteuer zu. Der Gang zum Friseur reicht für einen Seitensprung, ebenso ein Kaffeenachmittag mit der besten Freundin. Also bisher. Die Tarnung ist verblüffend einfach, aber wirkungsvoll.
Hinzukommt, dass sich die meisten Männer in ihrem übersteigerten Selbstwertgefühl gar nicht vorstellen können, ja, nicht einmal in vage Überlegungen einbeziehen, sie könnten von ihrer Frau betrogen werden. Sie fühlen sich sicher, zu sicher – und sie halten es eben nur für einen Stammtischwitz, dass der Fernseherreparateur bisweilen und nicht nur den Fernsehkasten repariert, ihre Arglosigkeit (und ihre jahrhundertelang gezüchtete männliche Arroganz) schlagen sie mit Blindheit möglicher erotischer Libertinage ihrer Ehefrau gegenüber.
Auffallend ist, dass weit mehr Männer durch irgendeinen Zufall als treulose Partner entlarvt werden als Frauen. Und von diesen Zufällen, denen selbst gewiefte außereheliche Strategen zum Opfer fallen, gibt es hunderte. Eine umfassende wirtschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet, die alle denkbaren Zufälle des Entdecktwerdens bei männlichen Seitensprüngen zusammenstellt und auf ihre Wahrscheinlichkeit hin untersucht, steht noch aus. Es wäre zweifellos ein Standardwerk, das reißenden Absatz finden würde.
Der Fall eines Fabrikanten, der offensichtlich in gutbürgerlicher Zweisamkeit mit seiner etwa gleichaltrigen Ehefrau lebte, schon über 20 Jahre lang, der als vorbildlicher Gatte und Vater galt, passt in dieses Kapitel mit dem schnöden Zufall und dem Krug, der so lange zum Wasser geht bis er bricht. Dieser distinguierte, finanziell unabhängige Mann führte ein klassisches Doppelleben auf absolut unauffällige Weise. So etwas klappt nur mit Geld, mit Geld können Spuren verwischt und die Tatorte ehewidriger Zweisamkeit in weit entfernte Hotels oder Privatbungalows verlegt werden. Männer mit durchschnittlichem Einkommen eignen sich schlecht für ein erfolgreiches Doppelleben, ihr Radius ist mangels Masse einfach zu begrenzt.
Dieser Fabrikant ging virtuos bei seinen gelandeten Abenteuern zu Werke. Er übertrieb nicht, blieb der ausgeglichene, häusliche Typ, sehr zuvorkommender, ritterlicher Gatte, der nur zwei, dreimal im Monat auswärts weilte, streng dienstlich und telefonisch immer erreichbar. Seine Frau hatte nicht den Hauch einer Ahnung vom schicken Doppelleben ihres Mannes. Eine glückliche Ehe.
Die Dogge Adrian, ein gewaltiges Tier mit miserablen Eigenschaften, die sich darin äußerten, dass der Hund jeden Fremden wild anbellte, ließ das diskrete, meisterhaft organisierte Doppelleben des Fabrikanten jählings zusammenbrechen. Es war einer jener Zufälle, bei dem der Teufel – oder einer der himmlischen Erzengel – die Hand im Spiel hatte. Der Fabrikant nahm seine Frau, wie schon häufig, mit zu einem Reitturnier in die Landeshauptstadt. Die Dogge Adrian hatten sie bei sich, und der Hund war wieder nur mit Mühe zu bändigen. Er bellte jeden an, der in seine Nähe kam, die Ordner blicken schon fast so bissig wie die Dogge selbst.
Dann geschah etwas Seltsames. Just in dem Augenblick, als eine junge Dame im eleganten Kostüm und modischem Hütchen an dem Ehepaar vorüberging, winselte Adrian plötzlich, riss sich mit einem Ruck los und sprang auf die junge Dame zu. „Um Himmelswillen“, rief die Gättin des Fabrikanten erschrocken, sie fürchtete, der Hund könnte der jungen Frau gefährlich werden. Aber Adrian, der sonst so bösartige, übelgelaunte, menschenfeindliche Adrian, leckte der jungen Dame die Hand. Die sah irritiert hoch, ging dann schnellen Schrittes weiter. Und auch der Fabrikant versuchte, die Situation zu bereinigen. „Adrian komm“ rief er scharf. Doch die Dogge winselte und noch einige Zeit in Richtung der dahineilenden jungen Dame. „Dummes Tier“, grollte sein Herrchen.
Seine Frau sagte gar nichts, fast ein viertel Jahr lang blieb sie die sanfte Gefährtin an der Seite ihres bedeutenden Mannes aus dem Wirtschaftsleben. Dann zuckte der Blitz: Die Frau reicht die Scheidung ein. Grund: fortgesetzte eheliche Untreue des Mannes (Paragraph 42 des Ehegesetzes).
Sie hat mir als ihrem Scheidungsanwalt alles erzählt. Wie sie nach dem merkwürdigen Vorfall mit der Dogge und der jungen Dame Verdacht geschöpft hatte, ihren Mann unauffällig beobachten ließ – und peu à peu seinem raffinierten Doppelleben auf die Spur kam. Als er wieder mal von einer seiner kurzen Dienstreisen zurückkehrte, mit einem aparten Geschenk für sie, sagte sie ihm seine Untreue auf dem Kopf zu. Mit präziser Angabe von Hotels und anderen Details. Es war der Knock out. Der Fabrikant japste nach Luft und gestand alles.
Zu retten war an der Ehe nichts mehr. Rasche Scheidung, finanziell sehr zu Lasten des Mannes. Ein Stück aus seiner Habe aber hat er freiwillig seiner geschiedenen Frau überlassen: die Dogge Adrian.