Dramen, Tragödien, Tragik, Tragikomödien: 20 Geschichten über verblühte Liebe

Der Laatzener Jurist und Autor Fritz Willig schreibt 1976 sein erstes Buch: „Miteinander - Auseinander". Wahre Geschichten über gescheiterte Ehen.
Foto: Reinhard Kroll

Etwa jede vierte Ehe in der Bundesrepublik scheitert. Hinter dieser nüchternen Zahl, auch Scheidungsquote genannt, verbergen sich Dramen, Tragödien, Tragik, Tragikomödien. Die Liebe, auch die verblühte, ist ein einfallsreicher Regisseur auf der menschlichen Bühne. Als dasBuch geschrieben wurde, galt im Ehe- und Familienrecht noch das Verschuldensprinzip. Ein Anwalt hat in dem im Jahr 1976 veröffentlichten Buch von Fritz Willig „Miteinander – Auseinander“ 22 authentische Scheidungsfälle kompetent, unterhaltsam, kurzweilig und launig beschrieben, die beispielhaft sind für das Thema Scheidung. Der LeineBlitz wird diese 22 Scheidungsfälle in einer Serie jeden zweiten Sonntag veröffentlichen. Fritz Willig, 1941 geboren und in Laatzen aufgewachsen, hat sich als Rechtsanwalt in aufsehenerregenden Wirtschafts- sowie Mordprozessen sowie in zahlreichen Familien- und Scheidungsangelegenheiten einen guten Namen über die Stadtgrenzen hinaus erworben. Überdies wurden bisher 13 Bücher von ihm veröffentlicht. Heute geht es um „Der Scheidungsanwalt“.

Gedankengut aus der Vergangenheit in die Gegenwart, implantiert und analysiert, entschleunigt in der Zukunft die Bevormundung der Menschen durch die Künstliche Intelligenz.                          Fritz Willig                                             

Der Anruf war für mich fast vom Schreibtischsessel. Ein Anwaltskollege war am Apparat, und zunächst dachte ich felsenfest, er wolle mich nur auf den Arm nehmen. „Ich will mich scheiden lassen“, sagte der Kollege in einem Tonfall, der eher amüsiert klang. Es war aber kein Scherz, wie sich im Verlaufe des Gesprächs herausstellte. Und das verschlug mir, einem hartgesottenen Anwalt, den sonst nichts umwirft, die Sprache; denn vor vier Wochen hatte ich dem Kollegen erst einen Strauß Orchideen zur Hochzeit geschickt.

Am nächsten Abend trafen wir uns in meiner Praxis. Eine Flasche Les Grarviéres, einen dunkelgekühlten Burgunder, hatte ich auf den Tisch gestellt, dazu eine Kiste Havanna (aus Helgoland geschmuggelt). Er lächelte, als er meine Vorbereitung sah; sein Lächeln war nicht frei von Melancholie.

„Das sei ihm alten Esel recht geschehen“, begann der Kollege seine Geschichte. Es war eine Geschichte, die so alt ist wie die Menschheit. Wohlsituierte Herren in den reiferen Jahren heirateten jugendliche Traumschönheiten. Noch einmal rauschhafter Frühling, leben, leben. Und aller Welt gegenüber renommiert mit dem lockenden Weib an seiner Seite.

Ich kann zahlreiche Fälle aus meiner Praxis nennen, die alle in dieses Klischee passen. Der Versuch, sich Jugend zu kaufen, scheitert in den meisten Fällen. Betagte Liebhaber reißen auf Dauer auch mit angegrauten Schläfen nicht mehr aus dem Feuer. Herbst und Frühling sind eben grundverschiedene Jahreszeiten.

Der Anwaltskollege hatte Greta, ein 22-jähriges Fotomodell, deren strahlendes Blond auf reifere Jahrgänge eine verheerende Wirkung ausübt, bei einem jener ermüdenden Stehempfänge kennengelernt. Der 52-Jährige, schon leicht ergraute Mann mit einiger Fülle überm Bund, sah in grüne Augen, er versank dahin – allerdings nicht so vollkommen, dass ihm hervorragende andere Details, unter einem kardinalsroten, hoch geschlossenen Kleid nur unzulänglich verborgen, entgangen wären.

Greta fuhr dem gereiften Mann – seine Freunde nannten ihn einen unbeugsamen Junggesellen – wie Champagner in die Glieder. Er reagierte ungestüm wie ein Primaner und lud Greta noch auf der Stehparty in ein französisches Restaurant ein. Sie speisten fürstlich, und am anderen Morgen ging sie zum Standesamt (nachdem Greta die Nacht im Junggesellenbett verbracht hatte, den unbeugsamen Junggesellen neben sich).

Der Kollege erzählte von ihrem Honigmond mit leiser Selbstironie, in dem ein Spritzer Bitternis mitschwank. Er wusste, dass sein Ausbruch aus der nüchternden Welt der Kanzlei misslungen war. Jetzt resignierte er. Er musste sich abfinden mit dem strapaziösen Leben eines erfolgreichen Rechtsanwalts, der sich in einen Zwölfstundentag aufreibt, um Geld auf toten Konten anzuhäufen.

Greta war für ihn mehr gewesen als nur eine junge, verführerische Frau. Sie war für ihn wie eine Fata Morgana, die ihm ein anderes, erfüllteres Leben vorgaukeln, ein Leben fern von dem zu Tode ermüdenden Stress, seinen Platz in der Spitzengruppe der Wohlstandsgesellschaft zu behaupten.

Immer wieder bin ich in meiner Praxis solchen Männern begegnet, deren Ehe mit einem schönen jugendlichen Geschöpf ein Fluchtversuch war. Fluchtversuch aus der Karriere, aus etablierter bürgerlicher Enge, aus dem goldenen Käfig des Erfolgs. Auch schwelende Lebensangst, die älteren Männern stärker zusetzt, als sie sich eingestehen wollen, hat sie in die Arme eines neuen, lachenden, taufrischen Glücks getrieben. Aber es handelt sich fast immer um einen Fluchtversuch, dessen katastrophales Scheitern vorprogrammiert ist.

Der Anwaltskollege hatte mit Greta eine durchaus rauschende Hochzeit gefeiert und war danach mit ihr nach Italien aufgebrochen. Hand in Hand saß man auf venezianischen Gondeln, die durch die Kanäle glitten, war Liebe wie im dritten Akt einer Operette, aber der Mann im 53. Lebensjahr, mit gelichtetem Scheitel und repräsentativer Taille, merkte es nicht. Und Greta, hinreißend oberflächlich, wird immer wie in einer Operette leben – bis der Vorhang der Wechseljahre fällt.

Weiterfahrt nach Rom. Und in einem teuren Doppelbett der Ewigen Stadt an der Via Veneto überkam den Anwaltskollegen zum ersten Mal eine Ahnung von der nahenden Katastrophe. Er war Greta erotisch nicht gewachsen. Sein beinahe schmerzendes körperliches Verlangen nach ihr war größer als seine Potenz. Der mörderischste Komplex eines Mannes: einer Frau sexuell unterlegen zu sein, grub sich in sein Unterbewusstsein ein.

In dieser Situation verfiel er auf die gängige Masche gereifter Herren von mangelnder Vitalität: Er renommierte mit seinem Wissen. Voller Eifer führte er Greta durch Kirchen, Museen und Galerien, kletterte mit ihr in die Katakomben und zeigte ihr auf dem Forum Romanum jene Stelle, an der Markus Antonius nach der Ermordung Caesars seine flammende Rede gegen Brutus gehalten hatte. Greta nickte, langweilte sich und hatte müde Füße. Fotomodelle können sich reizendere Ecken vorstellen als den Petersdom oder das Forum Romanum. Und auch Brutus ist ihnen ziemlich schnuppe.

Eines Morgens stöhnte Greta im Bett leicht vor sich hin. Sie habe Magenschmerzen, und er solle doch lieber allein die Vatikanischen Museen besuchen. Sie wünschte ihm viel Vergnügen, Sorgen brauchte er sich nicht zu machen. Der viele Rotwein am Abend vorher sei ihr nicht gut bekommen.

Der Kollege trank einen Schluck Burgunder. Schweigen breitete sich aus. „Tja“, setzte er dann seinen Bericht in etwas heiserem Tonfall fort, „dann bin ich gegangen. Und weil ich doch Gewissensbisse bekam, Greta so alleine im Hotel zurückzulassen, habe ich in einem Blumenladen 22 dunkelrote Rosen gekauft – Greta war gerade 22 geworden – und bin schon eine knappe Stunde später wieder ins Hotel zurückgekehrt.“

Er fand Greta im Bett, doch sie war nicht allein. Ein italienischer Kellner, ein schwarzhaariger, muskulöser Junge ihres Jahrgangs, lag neben ihr. Und die Kellnergarderobe hing akurat über einem Bügel.

„Meine Hochachtung vor der romanischen Ordnung ist in diesem Moment schlagartig gestiegen“, beendet der Kollege seine Geschichte; es war eine gequälte Schlusspointe so. Sechs Wochen später wurde er von Greta auf ihr allein Verschulden hin geschieden.

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